Seiteninhalt

Die Geschichte um die Burg Wohlenstein

Diese Unterlagen wurden vom Harzclub Zweigverein Mechtshausen-Rhüden, Hebergebiet e.V. in den 60er Jahren zusammengetragen.
Wir möchten uns an dieser Stelle hierfür beim Harzclub für seine Unterstützung bedanken. Wenn Sie Zeit haben schauen Sie doch bei der Wanderhütte an der Burgruine Wohlenstein vorbei, für gute Verpflegung wird in der Hütte vom Harzclub gesorgt. Die Öffnungstermine stehen im Bilderläher Terminkalender und im Aushangkasten an der Bushaltestelle im Ortskern.

Der Wohlenstein (Der Wohldenstein)
 

I. Der Weg zur Burg

Wenn wir in Ackenhausen den Weg wählen, der in östlicher Himmelsrichtung verläuft und bei der Höhe 225 den bewaldeten Höhenzug des Hebers erreicht, treffen wir bald auf die alte Grenze zwischen Gandersheim und Hildesheim. Zwar gibt es keine Landesgrenze mehr zwischen den beiden Gebieten, aber noch heute liegt hier die ehemalige Grenze zwischen den Landkreisen Gandersheim und Hildesheim-Marienburg. Der Weg ist durch schöne alte Grenzsteine des 18. Jahrhunderts bezeichnet, die in kurzen Abständen bergauf und bergab führen. Sie sind recht groß, tragen auf der einen Seite das Kreuz des Hildesheimer Bischofs, auf der anderen die Wolfsangel der Braunschweiger Herzöge. Bisweilen verraten die Buchstaben A G (Amt Gandersheim) und A B (Amt Bilderlahe) die alten Verwaltungsgrenzen.

Wer die Waldeinsamkeit liebt, wer den Zauber der Natur, das Rauschen der Buchen und Eichen und den Duft des Waldbodens erleben will, der wandere hier durch den Heiligenhai. Über den Totenkopf, an Wittekops Wiese zu dem langgestreckten Höhenrücken, der von Lamspringe südöstlich zum Harz verläuft, aber dann unversehens abbricht. An seinem östlichen Ende trägt dieser Höhenzug - der Heber genannt - die Ruinen der Burg Wohlenstein. Die Namen erzählen schon von der Geschichte des Ortes und von der Romantik einer solchen Wanderung. Merkwürdig die vielen Steine auf dem Wege, die ein kreisrundes Loch in der Mitte aufweisen. In langsamer Stetigkeit durchbohrten die Tropfen, die von den Bäumen fielen, das weiche Gestein vollständig - ein Zeichen für die Kraft der Geduld.

Bild vergrößern: Berg Burgruine
Berg Burgruine

Wir wollen nicht verschweigen, daß es einen leichteren Zugang gibt. Er führt von der Domäne Bilderlahe in einer Viertelstunde bergauf, freilich sehr steil - aber für eilige Wanderer ohne großen Zeitverlust. Am Fuß des Berges, ehe der Wald beginnt, steht ein großes Kreuz aus dem Jahre 1737. Es ist 3,20 m hoch und eines der vier Kreuze, an denen bei den Bittprozessionen in der Woche nach dem Sonntag Rogate Andachten gehalten werden. Daran wird deutlich, daß der Bischof von Hildesheim hier auch als Landesfürst bis 1803 den Krummstab schwang und der Reformation wehrte. Nach einer braunschweigischen Herrschaft von 1519 - 1643 blieb das Land beim Bistum Hildesheim - daher die Kreisgrenze und Bezirksgrenze noch heute. Denn als 1803 das Bistum seine Landesherrschaft verlor - die Geschichtsschreiber nennen es Säkularisation, fiel das Amt Bilderlahe an Hannover und deshalb 1866 an Preußen - nicht an Braunschweig. Heute ist es Niedersachsen.

Wenn wir auf die Höhe des Berges gelangt sind, sei es von Bilderlahe oder über den Heber, blicken wir in die weite Ebene des Ambergaues. Eine reiche gesegnete Landschaft erschließt sich uns, fruchtbar und schön zugleich. Der Blick umfaßt das Bergmassiv des Harzes mit der Stadt Seesen, er folgt den Dörfern Bornhausen, Rhüden, Bornum und reicht fast bis zur Stadt Bockenem. Dahinter erhebt sich die Berggruppe des Hainberges mit der Burg Wohldenberg.

Jedem wird sofort deutlich, die weite Ebene zwischen dem Bergzug des Hebers im Westen und des Hainberges im Osten wurde im Norden vom Wohldenberg, im Süden vom Wohlenstein beherrscht. Das Grafengeschlecht, das den Wohldenberg besaß, brauchte eine Burg am Südausgang des Ambergaues. So war es auch. Der Wohlenstein wurde von den Grafen von Wohldenberg erbaut.
Sprachlich hätte die neue Burg Wohldenstein heißen müssen. Man findet diese Schreibweise wohl auch. In den Kunstdenkmälern der Provinz Hannover 3. Der Kreis Marienburg (Hannover 1910), in denen unsere Burg genau beschrieben ist, wird sie Woldenstein genannt. Auch der Gandersheimer Chronist Harenberg und andere haben diese Form des Namens. Aber die amtliche Schreibweise ist Wohlenstein. Bleiben wir also dabei.

II. Die Burg

Was wir von keiner Burg um Gandersheirn haben, vom Wohlenstein besitzen wir ein Bild aus dem Mittelalter. Als der Bischof Heinrich von Hildesheim - ein Sohn des Herzogs Albrecht von Braunschweig - seine Grabplatte in Auftrag gab, bestimmte er, daß in den vier Ecken die vier Burgen dargestellt werden sollten, die er dem Stift erworben hatte. Die Braunschweiger Bilderchronik (Leibniz III 379) berichtet über ihn: "Dusse Bischof Heinrich de brachte veer Borgen to dem Stichte to Hildesem also Sladen, Widelah, Wohlenstein und de Marienborch".

Bild vergrößern: Grabplatte
Grabplatte

Das aus Erz gegossene Grabdenkmal war ein großes Kunstwerk. In der Mitte ruht der Bischof in vollem Ornat, neben ihm die Wappen von Hildesheim und Braunschweig. Die Darstellungen der Burgen an den vier Ecken sind durch Rankengeflecht verbunden. Alles wird eingefaßt von der Inschrift in schönen gotischen Buchstaben. Die Grabplatte ist leider verloren gegangen, doch besitzen wir gute Zeichnungen, die ein genaues Bild vermitteln.

Bild vergrößern: Detail der Grabplatte
Detail der Grabplatte

Das Bild des Wohlenstein setzt uns in Erstaunen. Die drei anderen Burgen sind so gezeichnet, wie wir uns Burgen vorstellen. Aber hier müssen wir sehr nachdenken. Wir sehen keine Burgmauer, nur zwei Türme, die unmittelbar aneinanderstehen. Der linke Turm ist rund und weist ein Burgtor auf, das sehr hoch liegt und zu dem eine Brücke hinaufführt. Der rechte Turm ist größer - es ist wohl der Bergfried - offensichtlich sechseckig und mit einem spitzen achteckigen Dach gekrönt. Beide Türme weisen Zinnen auf. Vor dem rechten Turm steht der Palas mit einem zinnenartigen Dach und vier Fenstern. Eines ist uns beim Betrachten der Darstellung klar: die Burg Wohlenstein ist nur stilisiert wiedergegeben, d. h. unter Verzicht auf eine naturgetreue Darstellung wollte der Künstler die besonderen Merkmale zeigen, durch welche der Wohlenstein sich von den anderen Burgen unterschied. Insofern handelt es sich um eine bedeutsame Wiedergabe. Der Künstler verzichtete auf Wall und Mauer - das Besondere an der Heberburg waren die Türme und der Palas.

Tatsächlich handelte es sich um eine kleine Burg. Der noch heute deutlich sichtbare Wallgraben war 400 m lang und 25 m breit. Ferner erkennen wir noch den ovalen Burghof, in dessen Mitte der Bergfried lag. Wir sehen auch die Stelle, wo einst das Burgtor gestanden haben muß und, in nordwestlichter Richtung vom Bergfried, den alten Brunnen.

Der Stumpf des Bergfrieds ist heute 18 m hoch und bietet noch immer einen ansehnlichen Anblick. Wenn die Bäume unbelaubt sind, kann man ihn von Seesen und dem Ambergau gut sehen. Nach den Resten muß er viereckig gewesen sein, denn neben den drei erhaltenen Seiten fehlt nur die Ostwand, die völlig verschwunden ist. Die Ecken zwischen den noch vorhandenen Wänden. sind sorgfältig aus Quadern gemauert. Die Westmauer ist völlig erhalten und 3,35 m lang. Von der Südwand sind nur 5,60 m von der Nordwand 6 m Mauer vorhanden. Die Mauerstärke beträgt 2,50 m.

 

Den Turm können wir nicht mehr besteigen. Aber wir gewinnen ein Bild von seinem Innern und der Ausstattung, wenn wir hinaufblicken. Das unterste Geschoß war 6 m hoch - in der Westwand sind vier Balkenlöcher über einem Mauerabsatz erkennbar. Dieser untere Teil des Bergfrieds wird den Tieren als Stallung gedient haben. Dann folgte der unterste Wohnraum von etwa 4 m Höhe. Wir erkennen noch Reste einer Kaminanlage, eines Fensters und einer großen Durchgangsöffnung. Sollte sie einst in den Eingangsturm geführt haben? Dann bedeutete das, daß der Zugang zum Bergfried nur durch den ersten Turm führte und damit besonders leicht zu verteidigen war. Vom oberen Wohnraum ist nichts mehr zu erkennen.

Etwa 15 Schritt von der Nordwestecke des Turmes liegt ein verschütterter Brunnen. An der Südhälfte der Burgstelle zeigt sich da, wo diese gegen Westen durch eine gerade Linie bergenzt wird, eine Fundamentmauer. Nach Harenberg war der Wohlenstein mit dreifachen Mauern umgeben und hatte tiefe unterirdische Gemächer.

Bild vergrößern: Foto der Burgruine
Foto der Burgruine

 

 

III. Die Grafen vom Wohlenstein

Von 1569 bis 1571 amtierte in Gandersheim der Generalsuperintendent Hermann Hamelmann, ein gelehrter Geschichtsschreiber. In seinem Buche: "Opera genealogica historia de Westphalia et Saxonia infcrior" erzählt er von der Erbauung der Burg Wohlenstein und gibt einen alten Merkvers wieder, den die Schüler der Gandersheimer Stiftsschule lernten, um die Jahreszahlen zu behalten. Er gründet sich darauf, daß die lateinischen Zahlen durch Buchstaben ausgedrückt wurden und diese ein besonderes Aussehen haben:

 

    Drey Hänge von einer Taschen:  M
    Zwey Öhre von einer Flaschen   CC
    Lange speit und ein                     LI
    Da ist gebaut der Wohldenstein.


Das bedeutet 1251 als Jahr der Erbauung unserer Burg. Auch der Chronist Rehtmeyer berichtet in seiner Braunschweigischlüneburgischen Chronik (S. 482): "In demselben 1251. Jahre ist gebaut das gräfliche Schloß Woldenstein, nicht weit von der Stauffenburg gelegen, so jetzo wüste, und das Amt gen Bilderlahe gelegt worden. Es haben daselbst Hof gehalten die Grafen von Woldenstein. Woldenbergischen Stammes, wie denn 1308 gelebt hat Ludolf, Graf zu Woldenstein". Der Chronist beruft sich auf "Lezners Hildesheimer geschriebene Chroik lib. III c. 17. 18." Aber Letzner ist nicht immer zuverlässig und so bleibt das genannte Datum zweifelhaft. Dagegen spricht eine Urkunde des Klosters Lamspringe, in der es heißt: "Gegeben im Jahr 1295, im Jahr, da die Burg Wohlenstein erbaut wurde". 1296 wiederholt eine zweite Urkunde diese Angabe (UB Hochstift Hildesheim cd. Janicke III Nr. 1078 und 1123). Danach nimmt man heute in der Geschichtsschreibung 1295 als Erbauungsjahr an. Aber trotz dieser sehr genauen Angabe ist nicht ausgeschlossen, daß die erste Burganlage bereits 1251 erfolgte, vielleicht eine erste Anlage nur mit Wachturm und Wallanlage, auf der dann 1295 die eigentliche Burg errichtet wurde. Vielleicht rührt daher der merkwürdige Grundriß der Burg mit zwei nebeneinanderstehenden Türmen.

Eine Gründung in der Mitte des Jahrhunderts ist aber durchaus wahrscheinlich. Das Gebiet, auf dem die neue Burg errichtet wurde, gehörte seit alters der Äbtissin von Gandersheim. Der Ambergau mit den Städten Bockenem und Seesen, mit den Dörfern Königsdahlum, Schlewecke, Rhüden, Bilderlahe, Heberhagen und der Höhenzug - "Heber genannt" - war ihr Eigentum. Ihre einer Fürstin ähnliche Stellung war aber eingeengt durch die Vogteirechte, die im 13. Jahrhundert die Grafen von Wohldenberg besaßen. 1259 gelang es der Äbtissin Margarete die Vogtei käuflich zu erwerben (Urkunde abgedruckt bei Harenberg S. 192). Im Verlauf der Verhandlungen mag die Äbtissin zahlreiche andere Rechte und Ländereien, darunter auch den Berg, auf dem nun der Wohlenstein erbaut wurde, verlehnt haben. Bei Harenberg sind viele Urkunden abgedruckt, nach denen die Wohldenberger Gandersheimer Lehen besaßen. Lehnsherrin blieb die Äbtissin auch über die Burg und sollte später einmal in einem wichtigen Falle ihr Recht geltend machen.

Das im Ambergau herrschende Grafengeschlecht stammte aus Wöltingerode bei Goslar, wonach es zuerst den Namen führte. Es gehörte zu den führenden Familien in Niedersachsen. Graf Ludolf von Wöltingerode (er starb 1153) war ein Freund Graf Hermanns von Winzenburg gewesen. Die Pöhlder Annalen nennen ihn "den Vorzüglichsten unter den Großen seiner Zeit". Sein Sohn fiel bei den Kämpfen um die Winzenburger Erbschaft in der Nähe zwischen Osterode und Herzberg. Danach siedelten die Grafen auf den Wohldenberg über und nahmen von ihm den Namen an. Sie dehnten ihre Herrschaft über den Ambergau aus und sicherten sie - wie im Norden durch den Wohldenberg nun im Süden durch den Wohlenstein. Mit der bedeutenden Äbtissin Mathilde (1195 bis 1222) bestieg ein Glied der Familie den Thron des Reichsstiftes Gandersheim, der es gelang, den Hildesheimer Einfluß zurückzudrängen - vielleicht nicht zuletzt um ihrer Brüder willen, die sich gegen die immer größer werdende Landesherrschaft des Bischofs behaupten mußten.

Zuerst ließen die Wohldenberger die neue Burg durch Burgvögte verwalten, von denen 1302 Johann von Dahlum genannt wird. Aber dann wurde der Wohlenstein Sitz eines eigenen Grafengeschlechtes - einer Nebenlinie der Wohldenberger, die sich nach der neuen Stammburg nannten. Der Sohn des Grafen Hermann, der 1259 die Vogtei an Gandersheim verkaufte und vielleicht den Wohlenstein baute, Graf Ludolf wurde der Stammvater, sein Sohn Heinrich wird 1300 und 1301, sein Sohn Ludolf 1312, 1313 und 1327 als Graf von Wohlenstein genannt. Sie richteten eine Hofhaltung ein, lebten hier ein Leben mit Fehde und Jagd, mit Kriegszügen und Waffenlärm.

Zu dieser Zeit war der Höhepunkt der gräflichen Herrschaft im Ambergau schon überschritten, in der Nebenlinie ebenso wie im Hauptstamm. Auch der Bau des Wohlensteins konnte den Verfall nicht aufhalten. Die Grafen unterlagen dem Druck der Hildesheimer Bischöfe, die ihre Landesherrschaft nach Süden ausdehnten und nun den Ambergau in Besitz nahmen. Dabei kam ihnen zustatten, daß die Bischöfe Heinrich II (1310-1318) und Otto II. (1318-1331) selbst gebürtige Grafen von Wohldenberg waren.

Schon 1330 brachte Bischof Otto den vierten Teil des Wohlensteines an das Bistum (Sudendorf I 255). Zwar gab sein Nachfolger die Burg an die Grafen Ludolf und Johann zurück, weil sie ihm viele treue Dienste erwiesen hatten - aber das Schicksal war nicht mehr aufzuhalten. Die letzten Grafen verkauften die Burg.

Zunächst ereignete sich ein Zwischenspiel. Ein anderes Edelgeschlecht versuchte sich zwischen den Fürsten von Braunschweig und Hildesheim zu behaupten, ja seinen Einfluß zu vergrößern. Der Edelherr Siegfried von Homburg, ein Neffe der Wohldenberger, kaufte 1346 den Wohlenstein. In dem Lehnsregister der Äbtissin Lutgart, dessen Angaben aber auf ihre Vorgängerin Jutta (1331-1357) zurückgehen ist bemerkt: "Der Edele Herr Siegfried von Homburg empfing seine Lehen von der Herrin ... die Burg Wohlenstein mit allen ihrem Zubehör". (Harenberg S. 851). Das Geschlecht hatte seit Hermann von Winzenburgs Tode seine Herrschaft zwischen Weser und Leine gegründet und in enger Anlehnung an die Herzöge von Braunschweig planmäßig erweitert. Unter Siegfried von Homburg erreichte es seinen größten Umfang. Nachdem ein Neubau der Burg Greene 1306 den Leineübergang sicherte, griff jetzt Siegfried über Gandersheim hinaus zum Ambergau und Harz. 1346 setzte er den Ritter Heinrich von Gandersheim als Vogt auf den Wohlenstein, damit er diese vorgeschobene Stellung halte. Von Siegfried von Homburg, der 1380 starb, ist das schöne Grabdenkmal in der Klosterkirche zu Kemnade erhalten, eines der schönsten und besterhaltensten in unserem Land. In Lebensgröße kniet er hier mit seiner Frau vor dem Heiland.

Auch dieses Zwischenspiel hielt den Endkampf nicht auf, der bald zwischen Braunschweig und Hildesheim entbrannte. Denn auch die Kraft des Hornburger Edelgeschlechts war erschöpft. Mit Siegfrieds Sohn Heinrich starb es 1409 aus - und der Streit der Großen um die Erbschaft begann. Schon Siegfried konnte den großen Umfang seiner Herrschaft nicht halten. Er verkaufte 1357 den Wohlenstein an Bischof Heinrich von Hildesheim.

IV. Die Welfen greifen nach der Burg

Wie stolz Bischof Heinrich von Hildesheim auf den Erwerb des Wohlensteines war, sahen wir auf seiner Grabplatte mit der Darstellung der Burg. Um sie erwerben zu können, hatte er seinen Landständen, den Stiftern und Klöstern eine Steuer auflegen müssen. Ja, er mußte noch mehr Schulden machen und verpfändete die neue Burg an Detmar von Hardenberg. Sein Nachfolger Bischof Gerhard löste den Wohlenstein 1366 wieder ein, mußte später abermals seine Zuflucht zu einer Verpfändung nehmen.

Keiner der Nebenbuhler um die begehrte Burg hatte die Äbtissin von Gandersheim gefragt, obgleich sie Lehnsherrin war. Jetzt trat sie auf, verweigerte ihre Zustimmung zum Verkauf - wohl auf Betreiben Herzog Ottos des Quaden von Braunschweig-Göttingen, in dessen Landesherrschaft Gandersheim lag. Er verbündete sich mit seinem Vetter Albrecht von der Grubenhagener Linie und begann den Kampf gegen den Bischof. Beide Herzöge rückten in den südlichen Teil des Bistums und eroberten am 31. Oktober 1369 die Stadt Alfeld. Siegessicher zogen sie vor die Burg Wohlenstein und begannen die Belagerung. Aber das bischöfliche Heer zog zum Ersatz heran und bereitete den Welfen am Allerheiligentage eine Niederlage. Das Chronicon Hildeshemense (Leibniz I 761) berichtet, daß Gott und die Mutter Maria - sie war Patronin des Bistums - die Feinde zurückwarfen und daß die Hildesheimer Vasallen nach Verhöhnung der Gegner die vierundzwanzig schwerbewaffneten braunschweigischen Ritter besiegten, ja, daß Herzog Otto selbst sich kaum durch die Flucht retten konnte. Die geringe Zahl der Ritter darf uns über die Stärke des Heeres nicht täuschen, denn die Ritter waren nur die Offiziere, die mit vielem Tross, mit Knappen, Knechten, Bauern kämpften. Die Zeit der Massenheere war noch fern. Der Griff der Welfen nach der Burg war abgewehrt. Herzog Otto mußte nachgeben und schloß am 6. Oktober 1370 einen Waffenstillstand und bald Frieden. Der Wohlenstein blieb bei Hildesheim.

Weiterhin sah die Burg wechselnde Pfandbesitzer. 1412 werden Ludolf von Wallmoden und Ludolf von Sellenstedt genannt. 1434 hatten die Ritter von Steinberg und von Ruscheplat den Wohlenstein im Besitz. Das benutzten die Herzöge von Braunschweig, um abermals zum Angriff zu schreiten. Die genannten Ritter hatten sich in der Fehde der Grafen von Spiegelberg und Hoya gegen die Braunschweiger gestellt. Herzog Heinrich und Herzog Ernst rückten vor die Burg und belagerten sie. Diesmal, war ihnen das Kriegsglück hold und so kann der Chronist melden: "Darna wunnen se den Woldenstein" (Leibniz III 202). Aber Bischof Magnus von Hildesheim, der Besitzer der Burg, war an der Fehde nicht beteiligt gewesen und forderte die Burg für sich zurück. Die Herzöge gaben nach und so hielt Hildesheim wiederum seine beherrschende Stellung im Ambergau. Allerdings verpfändete der Bischof die Burg sofort wieder an Kurt von Schwiechelt, löste sie 1445 ein, um sie abermals für 28 000 Gulden an die Gebrüder von Nette zu verpfänden. Der Griff nach dem Wohlenstein war zum zweiten Mal gescheitert - doch die Welfen verzichteten nicht.

V. Die Zerstörung

Der dritte Versuch der Herzöge von Braunschweig, die Burg in ihren Besitz zu bringen und die Herrschaft im Ambergau anzutreten, gelang - und er bedeutete das Ende des Wohlensteins. Die Hildesheimer Stiftsfehde von 1519 bis 1523 sollte neben den vielen Verwüstungen im Lande - denken wir an die Winzenburg - auch hier eine Wunde hinterlassen.

Am 16. Mai 1519 begann der Einmarsch der Herzöge Erich und Heinrich in das Gebiet des Hildesheimer Bistums. Schon zwei Tage später stand Herzog Erich vor der ersten Burg - dem Wohlenstein. Ihn verteidigte ein treuer Anhänger des Bischofs: der Ritter Hans von Steinberg, Pfandinhaber und Amtmann. Er war nicht auf der Burg, als die Feinde kamen. Ein braunschweigisches Spottgedicht schrieb es seiner Furcht zu:

 

    Darna ys geschyn
    dat se sochten den Woldenstein.
    Herr Hans von Steintberg was nich to Hus
    He was entsleken wie ein Mus.
    He forchte seck vor den Herren,
    dat se em den Nacken mochten smeren.


(Stiftische Fehde bei Leibniz III 257). Herzog Erich bedauerte es in Wahrheit sehr, denn er hatte gehofft, ihn bei der Belagerung der kleinen Burg in seine Gewalt zu bringen. So blieb dem Bischof ein treuer und umsichtiger Ritter erhalten, der ihm im Verlauf der Stiftsfehde noch viele gute Dienste tat. Die Burg wurde schnell erobert. Ob Hans von Steinberg ihr Schicksal hätte wenden können, ist unsicher, denn es war eine schwache Burg für ein starkes Heer. Sicherlich hätte die Belagerung länger gedauert. Die Besatzung zählte nur 15 Mann. Wie die Winzenburg als letzte, so fiel der Wohlenstein als erste Hildesheimer Burg in die Gewalt der Braunschweiger. Ein Flugblatt jener Zeit berichtet:

    "Mondage na Godes Himmelfahrt
    Kam Hertog Erich na Feindes Art
    und lede sick vor den Woldenstein,
    dar mochte einer Rovcr sein.
    Denn de Bischop van Minden und ander mehr
    Cord von Steinberg und Burchard von Salder
    Weren in dussem Spel de Besten:
    De wetet to breken de Festen,
    De Wohldenstein fel in den Grund"


Die Wut, mit der in jener Stiftsfehde gefochten wurde, die Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit waren groß. Der Hildesheimer Domherr Asche von Heimburg, der die Stiftsfehde ausführlich beschrieben hat, weiß zu erzählen: "Die Burg wurde mit grimmigem Ernst angelaufen, erstiegen, erobert, geplündert, verbrannt und in den Grund zerrissen. Etliche arme Gefangene, so wegen Übeltat zum Wohldenstein im Turm und Gefängnis ungerechtfertigt (d. h. noch nicht verurteilt) lagen, sein von diesem Brande, weil sie niemand retten und erlösen konnte, elend und erbärmlich verbrannt, deren Gebeine mit einem Stücke einer eisernen Holten Ao 1519 auf dem Wohldenstein, da der Turm gestanden, in dem Gemülme gefunden".

Bild vergrößern: Foto Burgruine
Foto Burgruine

 

Der Hildesheimer Bürgermeister Henning Brandes, der über die Geschichte seiner Zeit ein Tagebuch schrieb, berichtet: "Die Feinde verbrannten am 29. Mai Upstedt, Mechtshausen, halb Rhüden und nahmen dort Kühe. Am 30. Mai erstürmten sie den Wohldenstein und brannten den aus; darauf waren 15 Mann". (Hartmann: Der Bürgermeister, Hildesheim 1956 S. 76). Daraus ergibt sich, wie klein die Burg war.

Der Siegesrausch verflog bald. Viel Beute hatte es nicht gegeben. Da gerieten die Braunschweiger Landsknechte mit den hessischen Söldnern, die der Herzog Erich als Hilfstruppen geworben hatte, in Streit und verhöhnten sie ihres Wappentieres eines Löwen - wegen als Hunde. Der Herzog verabschiedete die Hessen und zog mit seinen Braunschweigern weiter.

Im Frieden von 1523 erhielt Herzog Heinrich der Jüngere neben der Winzenburg auch den Wohlenstein. Er ließ die Burg nicht wieder aufbauen, sondern verlegte den Amtssitz ins Tal, wo die Domäne Bilderlahe erbaut wurde, deren große Anlage wir noch heute bewundern können. Über die Rechte der Gandersheimer Äbtissin setzte man sich hinweg und ließ nur formell das Oberlehnsrecht bestehen. Bilderlahe hatte ebenso wie die Burg stets zu Gandersheim gehört.

Aber auch die neue Regelung war nicht endgültig. Im Dreißigjährigen Kriege, als Kaiser Ferdinand durch seine Generale TilIy und Wallenstein entscheidende Siege erfochten hatte, forderte ein Urteil des Kammergerichts vom 17. Dezember 1629, daß die Braunschweiger die dem Bistum Hildesheim entrissenen Burgen usw. zurückzugeben haben. Am 4. Januar 1630 wurde das Haus Woldenstein (Bilderlahe) besetzt, die Schlüssel namens des Generals Tilly den Beauftragten des Bischofs von Hildesheim übergeben und der Besitz übertragen. Aber der Sieg Gustav Adolfs von Schweden brachte noch einmal die Braunschweiger Herrschaft zurück, bis die Herzöge sich im Frieden vom 16. Januar 1642 endgültig und freiwillig zur Rückgabe entschlossen. Seitdem regierten der Krummstab und das Kreuz noch einmal im Ambergau und in der Burg auf dem Heber. Erst Im Jahre 1803 endete mit allen geistlichen Landesherrschaften in Deutschland auch die des Bischofs von Hildesheim. Nun aber fiel das Gebiet nicht an Braunschweig, sondern an die Welfen in Hannover, die es 1866 an Preußen abtreten mußten. Deshalb finden wir die Grenzsteine auf dem Höhenrücken des Heber, deshalb liegt die Burg Wohlenstein nicht im Landkreis Gandersheim, zu dem sie rechtmäßig gehören müßte.